"A journalist who is also a bad programmer, stylized in the style of Gary Larson"

Testfahrt im Alpha

Nein, meinen Job habe ich noch nicht an eine Maschine verloren, aber es ist zu erahnen, dass das eines Tages tatsächlich möglich ist: Eine Maschine, die Material sichtet und daraus ihre Schlüsse zieht. Bisher stellt diese Maschine sich glücklicherweise noch ziemlich begriffsstutzig an.

Der Reihe nach: Seit heute abend habe ich einen Testzugang zu Wolfram Alpha, rund 24 Stunden vor dem Rest der Welt (und auch zu einer, wie der Anbieter betont, noch nicht fertigen Vorversion). Alpha versteht sich nicht als Suchmaschine – als Trüffelschwein im Informationsmorast, das aber nur ausgraben kann, was da schon gewachsen ist – sondern als „rechnende Wissensmaschine“, die Informationen kombiniert und daraus neues Wissen gewinnt.

Ein Beispiel: Wenn ich wissen will, was in Hamburg am Tag nach meiner Geburt für Wetter war, nützt es nichts, einfach nach Treffern für „Hamburg 1.12.1968 Wetter“ zu googeln: Die Seiten, auf denen meine Suchbegriffe vorkommen, werden die Information nicht enthalten. Ich muss erst selbst ein wenig Hirnschmalz investieren: Wo könnte die Information zu finden sein? Was suche ich eigentlich? Historische Wetterdaten. Zeitreihen von meteorologischen Stationen. Ämter könnten so etwas aufheben… oder? Gentlemen, start your engines.

Wolfram Alpha geht diese Schritte von allein. Die Maschine versteht, dass ich mit 1.12.1968 ein Datum meine – und dass ich als deutschsprachiger Nutzer erst den Tag schreibe und dann den Monat, anders als die Amerikaner. Dass ich vermutlich das Hamburg in Deutschland meine und nicht das im Staate New York. Dass es mir um Wetterdaten geht. Die Maschine bringt die drei Begriffe zusammen, durchforstet ihre Wissensdatenbanken – und spuckt aus, dass es am Tag nach meiner Geburt in Hamburg 4 Grad kalt war und – natürlich – geregnet hat.

Screenshot Wolfram Alpha-Test

Nun hätte ich danach auch einfach meine Mutter fragen können. Aber es geht ja auch weniger ums Ergebnis, sondern um Alphas erstaunliche Fähigkeit, Daten zu kombinieren. Diese Fähigkeit spielt derzeit immer noch innerhalb sehr enger Grenzen – und hängt natürlich davon ab, dass die entsprechenden Informationen in WAs Datenbasis vorhanden sind. Und da sind dann doch deutliche Lücken, wie der Test des Spiegel belegt. Auch kann einen die Maschine mit ihrer Begriffsstutzigkeit in den Wahnsinn bringen: Was ein Datum ist, weiß sie. Was der Papst ist, im Prinzip auch – aber wer an einem bestimmten Tag Papst war, das bekommt sie im Moment noch nicht zusammen. (Die Entwickler weisen darauf hin, dass sie die Art, wie WA mit seiner Verständnislosigkeit umgeht, noch massiv überarbeiten.)

Einige vorläufige Vermutungen lassen sich treffen:

Was Wolfram Alpha nicht ist: Ein Google-Konkurrent oder gar -killer. Das will die Maschine auch gar nicht sein: Sie greift nur auf ihre ausgewählten Wissensbestände zurück anstatt auf möglichst weite Teile des Internet. Und so kann sie eine Frage wie: „Wo ist der Papst?“ schon deshalb nicht beantworten, weil sie keine Zeitungen liest. Noch nicht – dass das durchaus möglich ist, zeigen zum Beispiel die Semantic-Web-Forscher.

Was Wolfram Alpha derzeit ist: Die ultimative Trivia-Maschine. „Wussten Sie schon, dass die Anzahl der Hochzeiten pro tausend Bürger sich in Deutschland in den letzten fünfzehn Jahren fast halbiert hat?“ Wer gerne mit derartigen Sätzen auf Parties glänzt, wird an Wolfram Alpha und iPhone seine helle Freue haben.

Was Wolfram Alpha bald sein wird: Der feuchte Alptraum aller Mathe- und Geschichtslehrer. Hausarbeiten im Handumdrehen – alles, was man braucht, ist ein internetfähiges Handy und ein wenig Geschick beim Eintippen der Fragen – und eine Schrift, die auch dann zu lesen ist, wenn man im Bus vom Mobil-Display abgepinnt hat.

Was Wolfram Alpha sein kann: Ein unverzichtbares Recherchetool, das einem einen gewaltigen Teil der Denk- und Sucharbeit im Netz abnimmt. Ich neige dazu, dem Erst-Rezensenten Nova Spivack zuzustimmen, dass WA vermutlich weniger ein Google-Killer ist als eine Art Wikipedia 3.0: Ein Werkzeug, um sich das Wissen der Welt in Sekundenschnelle zu erschließen – und neu zu kombinieren.

Im Augenblick ist davon noch nicht viel zu sehen. Das System hat so oft keine Antwort auf die scheinbar banalsten Recherche-Aufgaben, dass die meisten Neugierigen wohl schneller wieder das Interesse verlieren werden, als ich „Papst“ sagen kann. Und doch scheint gelegentlich diese mächtige Fähigkeit auf, Sinnzusammenhänge herzustellen und sie für die Auswertung von Daten zu nutzen. Das „Semantic Web“ rückt näher.Nein, meinen Job habe ich noch nicht an eine Maschine verloren, aber es ist zu erahnen, dass das eines Tages tatsächlich möglich ist: Eine Maschine, die Material sichtet und daraus ihre Schlüsse zieht.

Der Reihe nach:

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